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Gamification: Warum die Paywall für Medien ein Irrtum ist

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Bezahlschranken, wie wir sie heute sehen, sind keine nachhaltige Lösung zur Monetarisierung von Onlinemedien. Ein Blick auf die Spiele-Branche zeigt, wie mit Journalismus im Netz künftig Geld verdient werden kann.

Matthias Sala ist Spezialist für Gamification bei seinem Spiel-Startup Gbanga, welches für Unternehmen Spielstudien und -konzepte entwickelt.

Während des letzten Jahrzehnts hat sich die Spieleindustrie neu erfunden. Sie hat Wege gefunden, wie man Spiele digital vertreibt und wie man mit kostenlosen Games Geld verdienen kann. Schaut man sich in den App Stores und Markets die Top Grossing Apps an, wird man feststellen, dass die Mehrheit der Titel eigentlich kostenlose Spiele sind.

Andererseits sieht man News Apps kaum in diesen Rankings. Es wird auch selten oder nie von signifikanten Gewinnen über den digitalen Distributionsweg berichtet. Zeitungen und Verlage sind in der Krise, obwohl sie die Ideen und starken Anzeichen von funktionierenden digitalen Geschäftsmodellen gleich vor der Nase haben – nämlich in Form von Games in den App Stores.

In unserer Spielefirma Gbanga haben wir gelernt, wie wir unsere Spieler unterhalten. Im hart umkämpften Spielmarkt ist alles kostenlos. Trotzdem lieben unsere Spieler unsere Spiele so sehr, dass sie bereit sind, für virtuelle Güter, die keinen physikalischen Wert haben, bis zu 99 US Dollar zu zahlen (im Durchschnitt geben Spieler 14 Dollar in einem mobilen Spiel aus). Gleichzeitig bieten Zeitungsverlage Produkte mit hohem Wert an, für die scheinbar niemand bereit ist, Geld auszugeben. Es ist offensichtlich, dass dies nicht wahr ist und die Medien noch nicht verstanden haben, wie die neue Ökonomie funktioniert.

Kostenlose Angebote sind nur die halbe Wahrheit

Die meisten Spiele sind kostenlos wegen dem Vorhandensein von Substituten. Niemand ist bereit, für ein Spiel zu zahlen, weil das Angebot an kostenlosen Alternativen zu groß ist. Konkurrenziert man in diesem Markt der austauschbaren Spiele, ist ein prominenter Monetarisierungsweg die Werbung. Die Qualität der Spiele ist okay, man muss sich mit viel Werbung abfinden, aber als Spieler ist man nicht sonderlich loyal. Dieses Konzept funktioniert ganz gut, wenn man eine enorm große Reichweite hat. Ein Beispiel dafür sind die Apps Talking Tom oder Shazam – viele haben sie installiert, wenige oder keiner zahlt. Im Print sind dies die kostenlosen Pendlerzeitschriften, die interessanterweise einen beträchtlichen Anteil an Erträgen bei Verlagen erwirtschaften.

Da Leser immer mehr Zeit auf dem Handy verbringen, ist dies keine nachhaltige Lösung für die digitale Strategie von Medien. Mobile Banner funktionieren nachweislich nicht. Die mobilen Bannerpreise sind 5-mal tiefer als auf dem Desktop. Auch beim Gaming scheint diese Strategie nicht die lukrativste Variante zu sein: keine der Top Grossing Apps verwendet dieses Modell. Wie verlangt man dann von Kunden Geld, wenn Werbung nicht funktioniert?

Der Mythos der Paywall und des Kollektivmonopols

Die Paywall scheint die simple Lösung zu sein. Quasi wie am Kiosk wird vor dem Lesen Geld verlangt. Nachdem einige Zeitungsverlage wie New York Times und NZZ die Paywall eingeführt haben, wurde von abspringenden Lesern berichtet. Die Frustration, beim Lesen von einem Zahlungsformular unterbrochen zu werden, war offenbar hoch. Oder es ist eben zu einfach, die Information bei der kostenlosen Konkurrenz zu holen (Substitution). Dieses Phänomen brachte das kurzschlüssige Argument hervor, dass halt alle Medien mitmachen müssten, um ein Kollektivmonopol zu schaffen. In dieser schön kontrollierten Medienwelt würde dann niemand mehr die News kostenlos erhalten können und würde sich mit der Paywall abfinden.

Wie die Bezeichnung Paywall schon sehr kundenunfreundlich klingt, so ist auch der Lösungsansatz für die freiheitsliebende Medienlandschaft überraschend totalitär und wird sich nie durchsetzen können. Es ist vergleichbar mit der Musikindustrie, welche mit rechtlichen Drohgebärden und Angstmacherei den digitalen Distributionskanal vor zehn Jahren erfolglos zu verhindern versuchte. Die Paywall funktioniert zwar heute bedingt für die Stammkundschaft (zum Beispiel bei der New York Times), doch es gibt noch viel mehr Leserpotential, wenn man eine positive Lösung einsetzt…

Was die Medienwelt von Spielen lernen kann

Da ein Kollektivmonopol in der Spieleindustrie nicht mehr möglich war, kristallisierten sich einige viel kundenfreundlichere und innovativere Praktiken heraus:

  • Biete großartige Inhalte kostenlos an
  • Mach den Einstieg (On-Boarding) möglichst einfach
  • Unterbreite Angebote im Cent-Bereich im richtigen Moment
  • Führe eine dynamische Preisgestaltung ein
  • Steigere Kundentreue und Umsatz durch Qualität und Vielfalt
  • Wie sich das auf die Medienbranche übertragen lässt, ist im Folgenden beschrieben.

1. Biete großartige Inhalte kostenlos an
Spiele und auch News sind sehr flüchtig und austauschbar. Die Differenzierung bei Spielen erfolgt über die Marke sowie über die Qualität der Grafik und des Sounds. Schöne Spiele von bekannten Marken wie Disney sind tendenziell erfolgreicher als eine unbekannte Figur von irgendwo. Die Spieler suchen sich also Spiele aus, die ihnen auf Anhieb gefallen oder in deren Marke sie Vertrauen haben. Die großen Marken bieten kostenlose Versionen ihrer Apps an, damit man sie erst näher kennenlernen kann.

Das Gleiche lässt sich auf die Medien übertragen: man wird Fan einer Zeitung, einer Sendung oder eines Blogs, weil man gute Erfahrungen gemacht hat, oft neue Erkenntnisse gewinnt oder Dinge aus einem spannenden Blickwinkel beleuchtet sieht. Zu diesen Medien wird man sich als Leser oder Zuschauer immer wieder hingezogen fühlen, um zu sehen, was es Neues gibt. In dieser Treuephase bereits mit Kosten abzublocken, wäre unklug. Also vorerst einfach alles kostenlos anbieten. Ein Vorzeigebeispiel diesbezüglich ist The Economist’s digitale Strategie, bei der aus einem Mix von Blogs und Apps hochwertigen Journalismus kostenlos angeboten wird.

2. Mach den Einstieg (On-Boarding) möglichst einfach
Die ersten paar Augenblicke in Games sind äußerst wichtig. In den ersten 45 Sekunden entscheidet sich, ob sich ein Spieler mit dem Spiel auseinandersetzen wird oder ob er es für immer vergisst. Das sogenannte Smooth On-Boarding wird teils über erklärende Tutorials, teils mit intuitivem Design erreicht.

Bei den Medien gibt es vergleichbare Kriterien, wie man zum wiederkehrenden User wird. Ist es einfach, sich anzumelden? Werden die Cookies schlau genutzt, um meine zuletzt gelesenen Rubriken zu markieren? Erhalte ich Push-Nachrichten für Updates zu Artikeln, die ich gelesen habe? Dies sind alles Zusatzfunktionen, mit denen ich auf einfachste Weise bereits ein regelmäßiger User werden kann. Formulare, die mehr als 2 Felder oder Kreditkarten-Informationen verlangen, sind da absolute Abschreckung!

3. Unterbreite Angebote im Cent-Bereich im richtigen Moment
Während der Nutzung des Spieles werden einige kleine Funktionen auftauchen, die sich als praktisch erweisen: Werkzeuge, die beim Bau vom virtuellen Bauernhöfen Zeit ersparen oder zusätzliche Levels, die freigeschaltet werden können. Diese Elemente werden dann zu Cent-Beträgen (Micropayments) im Moment des Bedürfnisses angeboten; nicht vorher und nicht nachher.

Online-Zeitungen sollten dies auch anbieten: die schnelle Suche im Archiv, das Drucken einer Infografik in hoher Auflösung für PowerPoint, das Erstellen eines gelayouteten PDFs für ein Spezialthema oder das Freischalten genauer Statistiken eines Wirtschaftsartikels. Diese Zusatzdienste kann man dann mittels Kleinsttransaktionen erwerben. Viele würden eine Infografik für einen Euro kaufen, um sie in einer Geschäftspräsentation zu verwenden und sich vor den Kollegen zu profilieren- anstatt kostenlos einen Screenshot mit schlechter Qualität zu machen und sich zu blamieren.

Angebot- und Nachfrage-Kurve: altes System, Paywall-Gamificated System

4. Führe eine dynamische Preisgestaltung ein
Wie bereits erwähnt, wird ein überzeugendes Grundangebot bei Games immer kostenlos angeboten. Hingegen gibt es Zusatzfunktionen, die im Cent-Bereich angeboten werden. Diese Preise werden dynamisch gesetzt wie in einem Warenhaus: Wochenend-Specials, Promotionen für Vielspieler, Multipacks und Bundles sind die lukrativen Geheimnisse der Unterhaltungsbranche.

Die Medien erhalten spannende Erfahrungswerte wie Zugriffszahlen auf Artikel und Popularität von Themen. Diese Zahlen gilt es nun ins Geschäftsmodell einzupflegen: die Vollversion von äußerst populären Artikel kosten einen geringen Cent-Betrag, das Bild und die ersten zwei Abschnitte gibt es dafür immer noch kostenlos. Bei populären Wirtschaftsartikeln werden die Prozentzahlen ausgeblendet; sie können für ein paar Cents freigeschaltet werden. Unpopuläre Beiträge sind komplett kostenlos und dienen als Nebeneffekt der Suchmaschinenoptimierung SEO. Es ist zudem ein Indiz für die Lukrativität, wenn Yahoo ein Patent für dynamische Preise für digitalen Content eingereicht.

Mit dynamischem Preis über die Zeit hinweg

5. Steigere Kundentreue und Umsatz durch Qualität und Vielfalt
Vielspieler werden mit neuen Levels, mehr Punkten und besser aussehenden Avataren belohnt. Anfänger werden mit einigen Zückerchen umworben. Bei jedem Spielstart passiert eine positive Überraschung: man gewinnt ein neues Level oder bekommt Extrapunkte. All diese Glücksmomente helfen, dass die Spieler mit Freude zurückkommen.

Bei Onlinezeitungen ist dem nicht so. Möglichkeiten gibt es aber auch hier. Beispielsweise kriegt man nach mehrfachem Teilen per Email ein kostenloses Monatsabonnement geschenkt. Leser von bestimmten Rubriken sollten gezielt auf spannende Themen, die sie noch nicht entdeckt haben, aufmerksam gemacht werden- vergleichbar mit Amazon’s Empfehlungen.

6. Spiele statt Banner-Werbung
Gamification und Spiele haben nicht nur Vorbildsfunktion, sondern sind auch der bessere Weg als banale Banner-Werbung auf dem Handy. Banners stören, gesponserte Spiele und Product Placement hingegen erwecken mit dem Brand positive Assoziationen wie Innovation, Spaß und Intelligenz. Zudem kann man mittels Spielelementen mit dem Kunden interagieren, was wertvoller ist als Displaywerbung.

7. Von Spielen lernen
Die Spieleindustrie ist eine Schatztruhe von kreativen Geschäftsmodellen und Produktgestaltung für Produkte, die einfacher zu bedienen sind und mehr Spaß machen. Ist sie doch seit jeher innovativ und musste sich in den letzten 30 Jahren wiederholt mit extremen Veränderungen auseinandersetzen: in den 80er-Jahren mit den Heimkonsolen, welche die Spielhallen überflüssig machten, in den 90er-Jahren mit der Verbreitung von PCs, 2000 mit dem Einzug des Internets und seit der Einführung des iPhones mit dem mobilen Medium Smartphone. Games und Gamification sind deshalb nicht nur Buzzwords, sondern bieten viele Chancen für alle Industrien, insbesondere aber die Medienwirtschaft.

Matthias Sala ist Spezialist für Gamification bei seinem Spiel-Startup Gbanga, welches für Unternehmen Spielstudien und -konzepte entwickelt. Seine mixed-reality Games haben nationale und internationale Awards gewonnen. Er spielt seit den 90er-Jahren, ist diplomierter Informatik-Ingenieur ETH und präsidiert den Schweizer Computerspiel-Entwickler-Verband SGDA.ch.


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